Ein Blick ins Innenleben – über die Erziehung in unserem Waldorfkinderhaus

Alle, die mit Heranwachsenden leben und arbeiten, sehen mit Betroffenheit, wie der Zahl der Kinder, die in ihrem Verhalten auffällig sind, immer mehr ansteigt. Zu den Problemen gehören motorische Unruhe, Konzentrationsschwäche, mangelnde Durchhaltekraft, Aggressivität und Sprachstörungen. Die Einwirkungen unserer modernen Zivilisation – Lärm, Hektik, Medien, Konsum, Lieblosigkeit – werden vielfach dafür verantwortlich gemacht. Dieser Befund zeigt auch, dass das Kindesalter eine besonders empfindliche Zeit für die Verarbeitung von Eindrücken aus der Umgebung ist. Dieses Verarbeiten ist oft auf gesunde Weise nicht mehr möglich.

Menschengerechte Pädagogik

Für die Erzieherinnen stellt sich nun in besonderer Weise die Aufgabe, durch eine menschengerechte Pädagogik die Kinder so zu begleiten, dass sie sich gesund entfalten können und – innerlich gekräftigt – später den Anforderungen unserer Zeit gewachsen sind. Rudolf Steiner, der Gründer der Waldorfpädagogik, hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus einer ganzheitlichen Menschenkenntnis heraus die Rhythmen der kindlichen Entwicklung und den entsprechenden pädagogischen Umgang damit dargestellt.

Vorbilder

Im Kindergartenalter ist das Kind noch ganz hingegeben an die Sinneseindrücke aus der Umwelt und lernt am natürlichsten durch Nachahmung. Vorbilder sind die ihm liebevoll verbundenen Erwachsenen: Eltern, Großeltern, Kindergärtnerinnen etc. Daraus folgt eine große Verantwortung für alle Erziehenden. Denn ihre Äußerungen sollten für die Kinder wirklich vorbildlich sein, und sie sollten das Umfeld für die Kinder so gestalten, dass es in guter Weise auf die Kinder einwirken kann.

Rhythmus und Wiederholung

Dieses Grundprinzip des Lernens über Vorbild und Nachahmung wird noch durch ein zweites ergänzt: die Bedeutung von Rhythmus und Wiederholung. Der sich ständig wiederholende, geregelte Ablauf eines Tages, einer Woche, sogar eines Jahres gibt den Kindern Sicherheit und Geborgenheit und wirkt als Gegengewicht zu den ständigen Veränderungen und der Reizüberflutung in der heutigen Gesellschaft.

Der Jahresablauf im Kindergarten gliedert sich in drei- bis vierwöchige Abschnitte, die meist die Vorbereitung, das Feiern und das Ausklingen eines Festes beinhalten. Im Wiedererkennen der Vorboten können sich die Kinder schon auf das Fest freuen. Finden sie zum Beispiel einige Zeit vor Ostern im Grupennraum Tonschälchen, Erde und Weizenkörner vor, so stellt sich wie von selbst die innere Verbindung her: „Ach ja, wir säen Ostergras! Bald ist Ostern!“

Auch die Woche ist rhythmisch gegliedert. Die künstlerischen Tätigkeiten wie Malen mit Aquarellfarben oder Wachsstiften, Kneten mit Bienenwachs, Eurythmie und das Spielen auf der Kinderharfe haben ihren festen Platz in der Woche. Außerdem hat jeder Wochentag sein bestimmtes Gericht beim zweiten Frühstück am Vormittag: Montags Milchreis, dienstags Gemüsesuppe mit Gerste, mittwochs Hirsebrei, donnerstags Haferflockenmüsli und freitags selbstgebackene Weizen-Dinkelsemmeln, dazu Obst oder Kompott der Jahreszeit entsprechend. Auf diese Weise wird den Kindern eine Orientierung im zeitlichen Raum erleichtert.